Somethin’ Stupid

Weshalb es bei aller Zurückhaltung und trotz Anfangsschwierigkeiten gleichwohl reizvoll sein kann, eine Sängerin zu einem spontanen Duett einzuladen.

Wir waren nach dem Einsingen gerade mit einer anspruchsvollen Scat-Übung beschäftigt, als es an die Türe klopfte und Ursula eintrat. Ich versuchte mich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen und sang das Lied mit den je nach Rhythmus unterschiedlichen, inhaltlich bedeutungslosen Silben zu Ende. Diese zum Beispiel von Ella Fitzgerald perfektionierte Form des Singens wollte ich als Grundlage fürs Improvisieren lernen.

Es tue ihr leid, sie sei zu früh, entschuldigt sich Ursula, wir sollten uns nicht stören lassen. Grosses Erstaunen. Barbara schaute in ihre Agenda und sagte, sie hätte Ursulas Singstunde morgen eingetragen, der Termin heute sei für mich reserviert. Ursula entschuldigte sich überschwänglich und wollte gleich wieder aufbrechen, um anderntags wieder zu kommen. Ich kannte Ursula vom Frauenchor. Es tat mir leid, dass sie den langen Weg umsonst gemacht hatte. Ich schlug ihr deshalb vor, zu bleiben und zu dritt weiterzufahren. Es gäbe sicher Lieder, die wir gemeinsam singen könnten, vielleicht gar ein Duett. Ursula blieb zögernd stehen. Der Vorschlag kam überraschend. Sie stellte dann aber doch die Tasche ab und zog den Mantel aus. Barbara musste für die Idee mit dem Duett gar nicht erst überzeugt werden. Sie motiviert ihre Schülerinnen und Schüler immer wieder dazu, gemeinsam ein Lied einzustudieren. Ursula und ich hatten zudem schon beide mit anderen Partnern im Duett gesungen, meistens Ausschnitte bekannter Opernarien.

Während Barbara am Büchergestell durch Notenhefte blätterte, sah ich auf dem Klavier das Buch mit dem Titel «Berühmte Duette». Sie müsse nicht weiter suchen, sagte ich, als ich beim Öffnen des Buchs auf «Baby, It’s Cold Outside» von Frank Loesser stosse. Zufällig hatte ich kürzlich eine lustige Version mit Esther Williams und Ricardo Montalban gesehen. Das würde ich gerne ausprobieren. Doch war das Arrangement wie oft bei Melodien der so genannt leichten Muse viel anspruchsvoller, als man beim ersten Hinhören meinen könnte. Das liess sich in der kurzen Zeit wohl kaum erarbeiten.

Ich blätterte weiter und stiess auf «Somethin’ Stupid» von Carson Parks, von dem es gemäss Wikipedia neben dem Original mit Nancy Sinatra und ihrem Vater Frank mindestens 67 weitere Coverversionen gibt, zum Beispiel jene von Nicole Kidman und Robbie Williams aus dem Jahr 2001. Wir hörten auf YouTube in ein paar dieser Interpretationen hinein und stellten fest, dass die Männerstimme stark bevorteilt ist, darf sie doch die Melodie singen, die man im Ohr hat, während die Melodie der Frauenstimme eher der Begleitung dient. Doch Ursula stimmte zu. Auch bei diesem Song hat es schwierige Stellen mit raffinierten melodischen Variationen und Harmonien, die dem Lied das gewisse Etwas geben, aber korrekt und trotzdem unbeschwert und locker gesungen werden wollen.

Es machte grossen Spass, bis auf ein Detail, das mir auch bei anderen Sängerinnen beim Singen im Chor schon aufgefallen war: Ursula hielt sich mit dem Finger das linke Ohr zu. Sie könne sich so besser konzentrieren. Ich versuchte den Finger am Ohr auszublenden, war aber schon irritiert und fragte mich, ob ich denn so falsch singe. Barbara sah das ebenfalls und versuchte die Situation mit dem Kompliment zu entspannen, unser Duett klinge nach einer Viertelstunde schon gar nicht übel. Sie hätte zwei Schüler, die sich wochenlang an diesem Lied die Zähne ausgebissen hätten. Wer hört das nicht gern. Also schauten wir uns zum Schluss der Stunde noch ein Duett aus Don Giovanni an, wo nun Ursula den ihr bereits bekannten bestimmenden Part singen konnte, während sich meine Interventionen auf ein paar kurze Zwischenbemerkungen beschränkten, die freilich punktgenau zu erfolgen hatten, was höchste Konzentration erforderte. Ursula wirkte nun entspannter und hielt auch ihr linkes Ohr nicht mehr zu.

weiter