La Vie En Rose

Weshalb man trotz sichtbarer Lernfortschritte immer bescheiden auf dem Boden bleiben sollte, vor allem im Zusammenspiel mit erfahrenen Profis.

Was Sängern und Musikern zugemutet werden kann, weiss Barbara La Faro sehr wohl aus eigener Erfahrung. Sie muss ja in ihrem Hauptberuf als Sopranistin nicht nur als Aida oder Violetta traurige Tode erleiden, sondern auch auf ihre sehr unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler eingehen und ganze Chöre zum Klingen bringen. Ich vertraue ihr deshalb vorbehaltlos und befolge all ihre Vorschläge.

Als Barbara fragte, ob ich am Konzert eines Frauenchors die Vorstellung moderieren würde, sagte ich spontan zu und musste erst leer schlucken, als sie nachfragte, ob ich beim einen oder anderen Lied mit der Gitarre etwas Farbe dazugeben und auch für ein Intermezzo zu haben wäre, damit sich die Sängerinnen zwischendurch etwas erholen könnten. Okay, antwortete ich schon etwas weniger forsch. Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. Ich wollte aber auch nicht mutlos erscheinen. Barbara drückte mir die Noten der Lieder in die Hand, nannte die Daten der Proben und schlug vor, einfach einmal zu schauen, was möglich sei.

Ich suchte im Internet nach Aufnahmen, um mir die mehrheitlich unbekannten Melodien besser vorstellen zu können. Bei einigen Liedern waren zum Glück die Ak korde auf den Notenblättern angeben. Nicht selten aber fehlen diese Angaben in für mehrstimmige Chöre geschriebenen Partituren. Spätestens in solchen Augenblicken erwacht das Bedürfnis, mir endlich ein Grundwissen der Harmonielehre zu erwerben, um beim Herausschreiben der Akkorde nicht jedes Mal fremde Hilfe zu benötigen.

Das Konzert gelang gut, auch das Intermezzo mit dem «One Note Samba» auf der Gitarre. Jedenfalls komme ich seither immer wieder als musizierender Moderator zum Einsatz. Im zweiten Jahr wagte ich bei der Eröffnung und am Schluss den Versuch, den gesprochenen Text mit Akkorden auf der Gitarre zu unterlegen. Das erfordert grosse Konzentration und verlangt, den Text auswendig zu kennen.

Mit dem Frauenchor kam ich auch zum ersten und bisher einzigen bezahlten Auftritt als Musiker. Eine Sängerin serbischer Herkunft hatte ihre Kolleginnen angefragt, am Fest ihres Heimatvereins mit dem Chor aufzutreten. Neben einigen Schweizer Volksliedern studierten wir auch den bei ihren Landsleuten sehr bekannten Schlager «Beograde» ein. Über das Programm der anderen Gruppen waren wir nicht informiert und staunten deshalb nicht schlecht, als wir im Treppenhaus auf unseren Auftritt wartend eine Band hörten, die «Beograde» spielte, die Zuhörenden zum Mitsingen animierte und den Saal in kurzer Zeit zum Kochen brachte. Das konnte ja heiter werden. Für unsere braven Schweizer Volkslieder erhielten wir jeweils einen freundlichen Applaus. Als wir dann aber ganz zum Schluss «Beograde» anstimmten, begannen die Zuhörenden schon nach den ersten Takten wiederum mitzusingen. Ein Volltreffer.

Im zweiten Jahr nach dem Umstieg auf den Bass schlug Barbara vor, den Frauenchor mit dem Kontrabass zu begleiten. Zusammen mit dem Klavier wäre das sicher schön. Auch jetzt sagte ich ohne lange zu überlegen zu. Die Rolle als Bassist behagte mir ohnehin besser als jene des Gitarristen. Für das übliche Intermezzo regte die Pianistin Alena Koslava an, gemeinsam «La Vie En Rose» zu spielen. Eine gute Idee. Ich hatte in der Zwischenzeit ja gelernt, einfache Walking Bass Linien zu spielen.

Zum gemeinsamen Proben mit Alena fehlte die Zeit. Wir hatten genug mit der Begleitung des Chors zu tun. Das anfänglich etwas mulmige Gefühl vor dem Intermezzo mit Alena löste sich nach den ersten zur Sicherheit nur mit Wechselbass begleiteten Takten. Dass ich dann die vorbereitete Basslinie zu spielen begann, schien Alena als Signal zu interpretieren. Gegen das Ende der ersten Strophe schaute sie mich auffordernd an, spielte einen eindrücklichen Übergang, und leitete eine Tempoverschärfung ein. Schon ging die Post mindestens doppelt so schnell ab wie zuvor. Darauf war ich nicht vorbereitet. Ich hatte auch noch nie so schnell gespielt. Zum Glück griff Alena sehr kräftig in die Tasten. Der nicht verstärkte Kontrabass war vermutlich ohnehin kaum zu hören. Angestrengt versuchte ich die Form des Songs nicht aus den Augen zu verlieren. Mit der sich immer stärker verkrampfenden linken Hand versuchte ich einfach nur noch die Grundtöne zu treffen. Erst beim Ritardando zum Schluss konnte ich wieder langsam einfädeln.

Gelernt habe ich, nicht übermütig zu sein, auf keinen Fall den abgeklärten Crack zu mimen und sich nur in Proben über die gewohnte Flughöhe hinaus zu wagen. Tja, und natürlich erkannte ich auch meine Grenzen. Es gab und gibt noch so viel zu lernen. Als Alena im folgenden Jahr mehr oder weniger en passant vorschlug, als Intermezzo «Caravan» zu spielen, winkte ich sofort ab. Sie kommentierte das nicht, spielte eine wunderschöne Eigenkomposition und ich konnte mich ganz entspannt auf die Ansage des zweiten Programmteils einstellen.

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