Dr Ferdinand isch gschtorbe

Wie das traurige Ende eines Katers dazu motivierte, wieder selber zu musizieren, Berndeutsch zu lernen und die Stereoanlage auch gelegentlich auszuschalten.

Die Gitarre stand in meiner ersten kleinen Wohnung in Zürich-Schwamendingen zwar griffbereit, aber meist unbenutzt in einer Ecke. Ein halbes Jahr Erfahrungen als Gastarbeiter, für den es kaum Entwicklungsmöglichkeiten gab, war genug, das Stellenangebot eines Reisebüros in Zürich unwiderstehlich. Das Leben konnte neu beginnen. Im Vergleich zum Hungerlohn in Wien erschien mir mein Anfangslohn wie ein Lottogewinn. Eine Stereoanlage war die erste grössere Anschaffung. Ich kaufte viele Schallplatten und hörte in der Freizeit pausenlos Musik, spätabends selbstverständlich auch immer noch Ö3.

Im Februar des folgenden Jahres musste ich dann in die Rekrutenschule einrücken. Musik brachte mich an Urlaubstagen jeweils wieder auf andere Gedanken. Manchmal konnte ich im Auto eines Kameraden mitfahren. Auf der langen Fahrt zwischen Sitten und Zürich lief die Musik immer in voller Lautstärke. Nie werde ich den Karfreitag vergessen, als wir in der Nähe der Raststätte Gunzgen Süd im Schneegestöber bei einer Massenkollision in ein anderes Auto donnerten und Cat Stevens in der dem Aufprall folgenden Stille «Morning Has Broken» sang. Unverletzt, aber geschockt, hörten wir den Song zu Ende, um dann auszusteigen und den Schaden zu begutachten.

Mani Matter Es hätte ebenso gut ein Lied von Mani Matter sein können. Die Chansons mit den Geschichten von Hansjakobli und Babettli, von der Aufführung des Wilhelm Tell im «Leuje z’Nottiswil» und vor allem auch von «Ferdinand», der im Quartier für Nachwuchs sorgte, hörten wir unterwegs so oft, dass ich sie schon fast auswendig konnte. Das weckte die Lust, die Lieder selber zu singen und auf der Gitarre zu begleiten. Ein Projekt für die Rückkehr ins Zivilleben nach vier langen Monaten in Uniform.

Die Bemerkungen auf der ersten Seite des im Benziger Verlag erschienenen Büchleins «Us emene lääre Gygechaschte» (1972) mit Texten und Noten von Mani Matters Chansons fordern einen geradezu auf, die Chansons nachzuspielen. In der Einleitung rät Matter, der notierte Rhythmus sei in allen Melodien nur als Grundgerüst zu verstehen und deshalb nicht streng einzuhalten. Am Takt hingegen müsse man doch einigermassen stetig festhalten und nicht zu viel Rubato spielen. Fast alle Melodien seien in C-Dur oder a-Moll notiert, weil dies die einfachsten Gitarrengriffe ergebe. Sie könnten und sollten aber der Stimmlage entsprechend transponiert werden, was am leichtesten mit Hilfe eines Kapodasters geschehe. Wenn das keine Einladung war!

Die Gitarre hatte wieder Arbeit, ich lernte neue Akkorde und im Stil von Mani Matter zu spielen. Davon erzählte ich Daniel Loosli, der in der Berner Filiale meines Arbeitgebers arbeitete. Er wollte, dass ich ihm am Telefon den Ferdinand vorsinge und protestierte sogleich, es sei ausgeschlossen, dieses Lied zürichdeutsch zu singen. Ich bräuchte zwingend Nachhilfeunterricht. Dazu trafen wir uns in Bern. Ich lernte also Berndeutsch, lange bevor die Stadt meine neue Heimat wurde. Ich hörte auf der Schallplatte genau hin, liess mich von Dänu anleiten und korrigieren. So wurde aus dem Ferdinand nach und nach dr Färdinang.

Mani Matters Lieder bleiben für immer in meinem persönlichen Repertoire. Singen wir mit dem Chor des Besuchsdienst Bern «Hemmige», von der Dialektik eines «Sandwich» oder eben den «Ferdinand», bin ich immer wieder begeistert. Einfach genial, wie die Melodien zu Matters raffinierten Texten wie zum Beispiel im Lied von «Sidi Abdel Assar» passen. Begreiflich, dass diese Songs von anderen Sängern und Bands neu interpretiert werden, Stefan Eicher natürlich, auch Endo Anaconda. Ob Matters Chansons in der Schweiz einen ähnlichen Status wie die Jazzstandards haben, die man einfach auch einmal singen möchte, selbst wenn Ella Fitzgerald oder Frank Sinatra schon längst die definitive Version abgeliefert haben? Auf jeden Fall gehören sie für mich ebenso zum Sound meiner Generation wie Songs der Rolling Stones, der Beatles, Ten Years After und Pink Floyd.

weiter