Zwischenspiel: Flohwalzer

Weshalb es schön ist und sich lohnt, ein Musikinstrument zu spielen, auch wenn man nie und nimmer ein professionelles Niveau erreichen kann.

Die Kofferschnallen hochklappen, beim Öffnen des Deckels den leichten Widerstand spüren, als sei der Koffer hermetisch abgeschlossen, da liegt meine alte Freundin gut geschützt in ihrem roten, samten Bett. Auch nach vielen Jahren empfängt mich der feine Geruch ihres Holzes. Der Lack glänzt, aber es sind auch Narben zu sehen, entstanden durch jahrelangen Gebrauch und manchmal Unachtsamkeit. Die Ornamente rund ums Schallloch sind etwas dunkler, aber immer noch wunderschön. Neue Saiten wären kein Luxus. Wartet sie darauf, zu erklingen? Schon beim Stimmen ist die vertraute warme Stimme zu hören.

Weshalb möchten Menschen ein Musikinstrument spielen? Diese eher philosophische Frage hatte ich mir bisher nie gestellt. Mich beschäftigte vielmehr, weshalb es einige schaffen, mit ihren Instrumenten virtuos Musik zu machen, mit Melodien zu verschmelzen, tiefe Gefühle zu wecken, sich von den Klängen in andere Welten tragen zu lassen und Menschen zu verzaubern.

Dass mir das einmal gelingen könnte, wagte ich nach den Erfahrungen mit der Blockflöte nicht einmal zu denken. Mit einer Mischung aus Sehnsucht, aber auch Erleichterung, dem Zwang nicht ausgesetzt zu sein, sah ich die anderen Kinder, die nach der Schule mit der Gitarre, dem Geigenkasten oder dem schweren Koffer mit der Handharmonika auf dem Weg zum Musikunterricht waren. Bei einigen Mitschülern stand zu Hause ein Klavier, worauf sie dann mindestens den Floh- oder Kotelette-Walzer, wie wir ihn nannten, vorspielen konnten. Umgekehrt wurde ich von anderen Kinder beneidet, dass ich keine strenge Musiklehrerin besuchen musste, die nahtlos an den damals – jedenfalls in meiner Klasse – noch unangenehm autoritär geführten Unterricht anschloss und ihre Schüler mit der richtigen Haltung am Instrument und Vorwürfen wegen fehlenden Übungsfleisses peinigte.

Es wurde nie erklärt, wozu der Musikunterricht nützlich sein könnte. Ihr Kind ein Instrument spielen zu sehen, war für manche Eltern wohl ein Statussymbol wie der Opel Rekord vor dem Haus. Dass Musizieren glücklich machen kann, wurde nie erwähnt. Vermutlich weil die Anfänge meist mit grossen Anstrengungen verbunden sind. Unvorstellbar, dass Musik der Hauptinhalt eines Berufs sein könnte. Ich kannte Lokführer, Radrennfahrer und Fussballer, aber keine Musiker, die als Vorbild für die Berufswahl dienen konnten. Die Lehrerinnen oder der Orgel spielende Vikar kamen dafür sicher nicht in Frage. Umso mehr bewunderte ich Fredys damalige Freundin, als sie ins Konservatorium aufgenommen wurde und bald darauf in einem Orchester Geige spielte. An einer Geburtstagsfeier sah ich Margret vor ein paar Jahren erstmals wieder. Längst hatte sie ihren Traum verwirklicht und spielte erste Geige im Orchester eines Stadttheaters.

Berufsmusiker betrachtete ich lange als Menschen von einem anderen Stern, obschon ich um deren Drogen-, Beziehungs- und Lebensprobleme wusste. Sah ich aber, wie sie auf der Bühne oder im Orchestergraben mit ihrer Musik die Menschen berührten, konnte ich mir kaum mehr vorstellen, dass auch sie von Unsicherheit, Versagensängsten und existenziellen Schwierigkeiten geplagt sein könnten.

Zum Glück hatte ich in der Zwischenzeit gelernt, Gefühle auch auf der Gitarre auszuleben. Es sind die wohltuenden Wirkungen dieser manchmal beinahe meditativen Augenblicke, wäre eine erste Antwort auf die philosophische Frage, weshalb Menschen ein Musikinstrument spielen möchten.Dazu sind zuerst eine gewisse Technik und ein Repertoire an Melodien erforderlich, wirft eine innere Stimme ein. Wirklich? Spontan kommt mir folgender Gedanke: Als Musiklehrer würde ich neue Schüler schon in der ersten Stunde mit dem Anschlagen einer Saite oder Taste spüren lassen, was sich auch mit ganz wenigen Tönen ausdrücken lässt. Bei einem Kinderlied die Melodie ganz bewusst zu hören und alle Intervalle wahrzunehmen, könnte auch Erwachsene beeindrucken und begeistern.

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