It’s All Right With Me

Welche Abenteuer einem alten, aber unerfahrenen Hasen in einem Ensemble-Workshop an der Jazzschule blühen können.

«Du brauchst jetzt richtige Band-Erfahrung», fand Housi Ermel einmal am Schluss einer Bass-Lektion. Stunden nehmen, fleissig üben und mit Playback spielen sei gut und recht. Richtig Sinn mache das Musizieren erst zusammen mit anderen. Ich hätte das ja auch in Langnau erlebt, obschon diese Erfahrungen nicht mit jenen einer Band, mit der man über längere Zeit zusammenspielt, vergleichbar seien. Schön und gut, aber wie finde ich eine Band? Ich hatte schon gehört, Bassisten seien immer gesucht. Aber dazu müssten andere zuerst wissen, dass ich gerne in einer Band spielen würde.

Nach dem üblichen Start mit Internet-Recherchen landete ich auf der Website des Berner Konservatoriums und entdeckte eine gerade hochgeladene Broschüre mit Kursen für Erwachsene. Ich meldete mich für den Realbook-Workshop an und erhielt umgehend eine Bestätigung mit dem Hinweis, dass ich wieder Bericht erhielte, wenn der Workshop zustande komme. Erst auf Nachfrage teilte der Leiter des Workshops zwei Monate später mit, es hätten sich bereits drei Interessierte angemeldet und er plane im folgenden Monat eine Schnupperlektion. Zwei Wochen danach sagte er mir dann jedoch mit der Begründung ab, es hätten sich zwei Bassisten angemeldet, er müsse die zuerst eingegangene Anmeldung berücksichtigen. Weshalb hatte er das nicht gleich mit der ersten Mail mitgeteilt?

Ich solle mich nicht entmutigen lassen, fand Housi. Ich könnte mich doch auch bei der Jazzschule Bern, wo er ebenfalls unterrichtete, für einen Bandworkshop anmelden. «Diese Kurse sind öffentlich und somit ohne Eintrittsprüfung für jedermann beziehungsweise jedefrau zugänglich, sofern die Voraussetzungen erfüllt werden», heisst es auf der Website der Swiss Jazz School. Da musste ich doch zuerst tief durchatmen. Das hiesse ja, beim lokalen Jazz-Olymp anzuklopfen, wo so viele bekannte Namen der Schweizer Jazzszene ausgebildet wurden und lehren. Davon solle ich mich überhaupt nicht abschrecken lassen, meinte Housi, im Gegenteil, nicht wenige der Teilnehmenden der Vorkurse (PreCollege) hätten ebenfalls noch wenig Erfahrung, da könne ich schon mithalten.

Diesmal klappte es. Ein paar Wochen später erhielt ich die Bestätigung für den Ensemble Workshop «Swing» unter der Leitung des Bassisten Thomas Dürst. Da war ich schon recht euphorisch gestimmt. In Kürze selber in diese Räume beim Eigerplatz in Bern eintreten zu dürfen, aus denen beim Vorbeigehen oft Musik und Schlagzeug zu hören sind, bedeutete mir sehr viel. Doch je näher der Termin rückte, desto unwohler fühlte ich mich.

Worauf hatte ich mich eingelassen? Und wenn nun die Teilnehmenden zu Beginn des Workshops etwas vorspielen müssen, damit der Leiter einen ersten Eindruck ihrer Kompetenzen erhält? Ich wusste ja von meiner ersten Teilnahme in Langnau, dass mein Selbstvertrauen anders als im Berufsleben in solchen Situationen rasch ins Wanken gerät. Ich repetierte am Vorabend «All Of Me», «Body And Soul» und «Young At Heart», um allenfalls etwas vorspielen zu können.

Das war freilich nicht nötig. Als uns Thomas Dürst nach längerer Suche im kurzfristig zugeteilten Kursraum 12 im Untergeschoss endlich begrüssen konnte, stellte sich rasch heraus, dass meine Befürchtungen wieder einmal umsonst gewesen waren. Ich hatte auf den Irrwegen durch die Korridore der Jazzschule in der Zwischenzeit bereits Viktor kennengelernt, ein Posaunist ungefähr in meinem Alter, der hier schon andere Workshops besucht hatte. Dann tauchte auch noch Céline auf, die ich im vergangenen Sommer an den Langnauer Jazznights in einem «performing» Workshop kennengelernt hatte. Und so verflog die Nervosität ziemlich rasch.

Im grossen Raum standen ein Flügel und ein Schlagzeug. Anhand der Verstärker war auch schnell klar, wo man sich hinstellen sollte. Ein Bass war bereits vorhanden, wunderbar, ich musste somit nicht jede Woche den Bass an den Eigerplatz schleppen. Thomas kündigte an, dass er in den ersten Wochen verschiedene Songs mitbringen werde, von denen dann drei ausgewählt würden, die wir intensiv fürs Konzert am Semesterende vorbereiten würden. Wir könnten auch eigene Wünsche einbringen und sollten unbedingt mitteilen, wenn uns ein Song Mühe bereite, forderte er auf, während er die Noten für den Song «Soon» von George und Ira Gershwin verteilte und dann vorschlug, wir könnten doch gleich mal probieren, wie das töne. Der in B-Dur geschriebene Song enthielte bekannte Akkorde, die ich einfach einmal mit Wechselbass spielen könne, wenn das für mich okay sei, fügte er hinzu, als er mir die Partitur auf den Notenständer legte.

Alles klar. Oder doch noch nicht ganz? Viktor unterbrach Thomas beim Anzählen und schlug vor, sich zuerst gegenseitig kurz vorzustellen. Er möchte gerne wissen, auf welcher Flughöhe und mit welchen Zielen die anderen Bandmitglieder mitmachten. Guter Gedanke, fanden auch die anderen. Céline ist Kindergärtnerin und arbeitet gleichzeitig an ihrer Karriere als Sängerin. Sarah hatte gerade das dritte Semester an der Jazzschule begonnen und wollte ebenfalls Sängerin werden. Simon am Schlagzeug hatte unseren Workshop gewählt, weil am Gymnasium nur der Freitagnachmittag schulfrei war, während Severin an der Gitarre schon eine Weile an der Jazzschule studierte.

Darius am Piano bezog sich auf meine Bemerkung und sagte, auch er fühle sich wie am ersten Schultag und hoffe, mit uns mithalten zu können. Aber er habe viel Zeit zum Üben. Und ob man «Soon» nicht zuerst einmal hören könne, fragte er. Aber sicher. Thomas schloss sein Smartphone am riesigen Lautsprecher an. Ja, diese Melodie kam mir bekannt vor, doch mussten wir zuerst gut hinhören, um mit ihr vertraut zu werden.

«One, two, a one, two, three, four», zählte Thomas an. Wenn wir den Faden verloren, eilte er zwischen den Notenständern hin und her und zeigte auf die entsprechende Stelle. Die zweite Strophe gelang viel besser, beim dritten Durchgang begann es schon leicht zu swingen. Nach einer Dreiviertelstunde fand Thomas, die Zeit reiche gerade noch, einen zweiten Song anzuschauen, und verteilte Noten von Cole Porters «It’s All Right With Me». Auch jetzt hörten wir kurz in eine schöne Aufnahme mit Rita Reys und erarbeiteten uns den Song wie zuvor.

Walking Bass wäre bei diesem Song passender als «TwoBeat», meinte Thomas. Ob er mir eine Linie schreiben solle, oder ob ich es selber versuchen wolle, fragte er. Ich könne die Songs ja auch mit Housi, den er bes tens kannte, in der Bass-Stunde anschauen. Das hatte Housi bereits im Voraus versprochen. Nach der ersten Workshop-Lektion an der Jazzschule konnte ich nur bestätigen: It’s all right with me!

Allerdings muss ich hinzufügen, dass sich dieses gute Gefühl jeweils wieder abschwächte, je näher die nächste Stunde kam und jedes Mal neu erspielt werden musste. Am Freitagvormittag war ich vor der Stunde nervös, als müsste ich eine Prüfung bestehen. Obschon ich regelmässig und fleissig geübt hatte, spürte ich meine Defizite und die fehlende Routine. Aber darum nahm ich ja an diesem Workshop teil. Am Schlusskonzert in der MahoganyHall spielten wir «Lullaby Of Birdland», «On The Sunny Side Of The Street» und «Broadway». Wir waren recht nervös, vor allem auch wegen der knappen Zeit, um uns nach der vorherigen Band auf der Bühne einzurichten. Als der Schlagzeuger anzählte, hatte ich das Gefühl, in einen reissenden Fluss zu fallen, von einer Stromschnelle zur anderen zu treiben und den Kopf nur mit letzter Mühe über Wasser halten zu können. Irgendwann wurde ich auf eine Sandbank gespült und hörte die letzten Takte des dritten Songs. Der Auftritt war vorbei, bevor er richtig begonnen hatte.

Auch im folgenden Semester, diesmal im Balladen-Ensemble und wiederum mit Thomas Dürst, war der Druck Woche für Woche spürbar. Doch ich fühlte mich mittlerweile schon etwas sicherer und wagte auch, die Lautstärke am Verstärker etwas höher zu stellen. Nach dem zweiten Semester mit dem gelungenen Schlusskonzert wollte ich mir eine Pause gönnen, um an der Technik zu feilen und eine Weile ohne grösseren Druck zu spielen. Die regelmässigen Workshops bestimmten die Woche und das tägliche Üben doch sehr stark, so dass zum unbeschwerten Spielen öfters die Lust und die Zeit fehlte.

Betrachte ich jedoch die Themen der Ensembles auf der Website der Jazzschule vom Bebop bis zu den Odd Meters (eben z.B. 7/4-Takt), kann ich es kaum erwarten, mich für ein nächstes Semester anzumelden. Irgendwann, wenn ich dazu fit genug bin, möchte ich so gerne den für Fortgeschrittene ausgeschriebenen Piano Trio Workshop besuchen. So lange will ich sicher dranbleiben.

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