Blues in F, schräg

Weshalb sich auch Anfänger überreden lassen sollten, etwas vorzuspielen, obschon das ganz schön Nerven kosten kann.

Jürgs Ankündigung, im Pavillon neben dem Museum für Kommunikation ein Schülerkonzert durchzuführen, überraschte mich sehr. So lange ging ich nun auch noch nicht in die Klavierstunde. Ich spielte mehrheitlich einfache Lieder, ganz anders als viele Schüler, die ich vor der Stunde durch die geschlossene Türe spielen hörte.

Jürg wusste natürlich auch, dass ein Auftritt vor fremden Leuten einiges stärker herausfordert, als in der Klavierstunde zu zeigen, wie fleissig und intelligent man geübt hatte. Es gehe vor allem darum, einmal aus dem einsamen Spielen auszubrechen und in der Gegenwart anderer zu musizieren, im Wissen, dass die Teilnehmenden alles Lernende und keine Profis seien. Doch der Gedanke ans Konzert liess ungewohnte Gefühle hochkommen. Ich musste lernen, sie so gut als möglich als Antrieb zum regelmässigen Üben wahrzunehmen.

Aber welchen Song sollte ich vortragen? Eine Etüde aus der «Klavierschule für Erwachsene» kam nicht in Frage, obschon es anspruchsvoll ist, diese scheinbar einfachen Stücke korrekt und gleichzeitig ausdrucksvoll zu spielen. Ich war aber auch noch nicht so weit, einen Jazz-Standard vorzutragen und darüber zu improvisieren. Konnte ich ein Stück wie auf dem Leadsheet notiert rhythmisch korrekt spielen, war ich schon sehr froh.

Jürg schlug vor, den vor einiger Zeit einstudierten und für ungewohnte Ohren vielleicht etwas schrägen Blues in F zu spielen. Ein Jazzblues mit zwölf Takten mit einigen alterierten Akkorden. Die Akkorde spielte ich ohne Grundton mit der linken Hand. Mit der rechten Hand konnte ich über die F-Blues-Tonleiter improvisieren.

Am Abend des Konzerts staunte ich nicht schlecht, dass niemand von den anderen Erwachsenen anwesend war, die ich ab und zu vor oder nach der Stunde traf. Weil Jürg auch an einer Musikschule unterrichtete, waren die meisten Schülerinnen und Schüler einiges jünger als ich. Als ich von den vorangehenden Vorträgen ziemlich eingeschüchtert endlich an der Reihe kam, spürte ich zuerst meine Hände gar nicht mehr. Tapfer zählte ich 1, 2, 3, 4, spielte einen ersten Chorus nur mit der linken Hand in Vierteln, um Vertrauen zu gewinnen. Beim zweiten Mal wagte ich eine erste einfache Phrase mit der rechten Hand zu spielen und kam so immer besser in Fahrt.

Irgendwann setzte ich zum letzten Durchgang an und liess dann den Blues mit einem C7(#9)-Akkord ausklingen. Den Applaus nahm ich gar nicht richtig war, ich dankte kurz und huschte rasch wieder auf meinen Platz. Erst als man sich beim Apéro nach dem Konzert gegenseitig gratulierte und sich über Jürgs anerkennendes Nicken freute, war ich wieder richtig anwesend. Gerade rechtzeitig, um den Musiker der «Salonisti» zu erkennen, der in der Band im Film «Titantic» gespielt hatte und dessen Sohn ebenfalls bei Jürg Stunden nahm. Er gratulierte und lobte den schrägen Blues mit den Improvisationen. Diesen Motivationsschub werde ich ihm nie vergessen.

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