Angela Sample

Wie ein Abschied die Idee für den ersten eigenen Song liefert und sogar die Möglichkeit eröffnet, diesen mit einer Band aufzunehmen.

Einen eigenen Song schreiben, in einer Band mitspielen, Konzerte geben, eine CD produzieren. Auf solche Gedanken wäre ich nicht im Traum gekommen. Das ist etwas für Profis oder sehr fortgeschrittene Amateure. Aber einen eigenen Text zu einem Blues zu schreiben, wäre wohl ein erster Schritt. Es brauchte dazu einfach eine gute Geschichte. Die Gelegenheit ergab sich, als die Mitarbeiterin eines Kunden überraschend mitteilte, sie werde ihre Stelle wechseln und in eine andere Gegend ziehen. Nach mehreren Jahren intensiver und guter Zusammenarbeit hatten wir vor Kurzem den Abschluss des Projekts zur Einführung der obligatorischen Weiterbildung für Fahrer/-innen von Lastwagen und Cars feiern können.

Für meine Kollegin war dies der ideale Zeitpunkt zum Aufbruch. Wir Mitglieder des Projektteams waren ziemlich traurig und wollten Angela Sample nicht allein mit einem schnöden Apéro im Sitzungszimmer verabschieden. Nach der guten Zeit mit ihr wünschten wir uns ein richtiges Abschiedsritual, mit Musik, kurzen Ansprachen, Geschenken. Das Pseudonym Angela Sample erhielt meine Kollegin, weil wir anstelle des sonst üblichen Peter Muster einmal eine Frau auf dem Muster des neuen Fähigkeitsausweises abbilden wollten.

Das ergab den Stoff für eine Geschichte. Die Hauptrolle spielt Fritz, ein Chauffeur, der im Internet den Ausweis mit dem Bild von Angela Sample entdeckt und sich Hals über Kopf in sie verliebt. In der Annahme, Angela arbeite ebenfalls als Fahrerin eines Lastwagens oder Cars, beginnt er unterwegs auf der Strasse und an Raststätten nach ihr Ausschau zu halten. Hoffnungslos. Als er seinen Liebeskummer kaum mehr aushält, bittet er einen Arbeitskollegen um Hilfe. Dieser lacht nur und versucht Fritz die Sache auszureden.

Doch Fritz lässt nicht locker und ruft die Amtsstelle an, die den Ausweis ausgestellt hatte. Angela Sample gäbe es nicht, erhält er Bescheid. Der Ausweis sei nur ein Muster. Fritz will das freilich nicht wahrhaben und beschliesst, am nächsten Tag mit seinem Sattelschlepper zur Koordinationsstelle der Chauffeur-Weiterbildung zu fahren. Als er dort aufkreuzt, klärt man ihn auf, dass die Angela Sample weder Lastwagen noch Schulbusse fahre. Es sei eine Mitarbeiterin gewesen, die aber kürzlich in eine andere Landesgegend weggezogen sei. So bleibt Fritz nur noch die Möglichkeit, von Angela zu träumen.

Es war naheliegend, die Geschichte mit einem Blues musikalisch zu untermalen, und zwar einem Blues in Moll. In der Gitarrenstunde bei Jonas hatte ich einen a-Moll-Blues mit dem unverkennbaren Am7-D9-Turnaround aus «Oye Como Va» von Carlos Santana gelernt. Das passte wunderbar zur Geschichte von Angela Sample. Zum Erstaunen aller erschien ich mit der Gitarre zum Abschiedsapéro. Meinen Vortrag begann ich mit dem Hinweis, in diesem Song gehe es um Liebeskummer. Meine Frau sei darüber natürlich im Bild und könne die Geschichte des über beide Ohren verliebten Chauffeurs richtig einordnen. Ich wolle allfällige unzutreffende Vermutungen auch im Interesse der kurz vor der Vermählung stehenden Angela Sample schon im Voraus zerstreuen. Ich hatte die Zuhörenden auf meiner Seite und glaube, dass der Auftritt nicht schlecht gelang. Meine Kollegin hatte jedenfalls grosse Freude und musste auch ein paar Tränen abwischen.

Im Betrieb wurde über den überraschenden Auftritt noch eine Weile geredet. So erfuhr auch Benjamin Spicher davon. Wir sind beide Mitglied in einer Arbeitsgruppe, die Fragen für die theoretische Fahrprüfung erarbeitet. Benjamin spielte zu dieser Zeit Schlagzeug in der Freiburger Mundartband «Dürenann». Nachdem die Band eine CD fertiggestellt hatte, spürten die Sängerinnen und Musiker nach dem kreativen Exploit den bekannten Gefühlsmix von Freude, Erschöpfung, Leere und Aufbruchsstimmung. Sie probten zur Zeit nicht besonders seriös, erzählte Benjamin, die Sängerinnen machten gerade Pause. Ob ich nicht Lust hätte, an eine Probe zu kommen und mit ihnen den Song von Angela Sample zu spielen.

So kurz nach dem Erreichen des ersten Ziels mit einem eigenen Song sollte nun auch der zweite Wunsch in Erfüllung gehen, in einer Band mitzuspielen. Allerdings nur für ein einziges Mal. Völlig unerfahren über das Eigenleben von Bands stellte ich alles ganz falsch an. Im Probelokal, der Keller einer ehemaligen Käserei in Gurmels, musste ich feststellen, dass ich neben der Gitarre auch einen Verstärker hätte mitnehmen müssen. Den vorhandenen Verstärker benutzte der Leadgitarrist, der schon beim Einspielen mit ein paar gekonnten Phrasen zeigte, wer hier den Ton angab. Also sang ich das Lied unverstärkt und ohne Mikrophon. Bei der zweiten Strophe setzten die anderen ein. Grundsätzlich ein idealer Einstieg. Ich war allerdings so mit mir selbst beschäftigt, dass ich kaum auf die Mitspieler hören konnte.

Nach einigen Anläufen stellte Benjamin das Aufnahmegerät in die Mitte des Lokals, um den Song aufzuzeichnen. Als wir den Blues «im Kasten» hatten, fragte der Bassist, ob ich noch andere Songs auf Lager hätte. Darauf war ich nicht vorbereitet. Ich hatte auch keine Noten dabei. Also fiedelten wir noch ein wenig herum, räumten dann zusammen und gingen ein Bier trinken.

Was immer sich Benjamin mit der Einladung zum Mitspielen auch ausgedacht haben mochte, ich hatte den Abend vergeigt. Es war mir peinlich. Ich sprach Benjamin nie mehr darauf an, erfuhr aber, dass sich die Band einige Zeit später aufgelöst hatte. Höre ich aber jetzt beim Schreiben Benjamins Aufnahme «Angela Sample – Franz Neff featuring Dürenann» nach langer Zeit wieder einmal an, fallen mir zwar tausend Dinge auf, die ich heute anders und besser machen würde. Ganz so schlimm wie ich das in Erinnerung hatte, ist die Aufnahme auch wieder nicht, vor allem dank der Band. Sicher, man hätte viel mehr daraus machen können. Es war immerhin ein Anfang.

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