Jazz Waltz

Wie es nach einem erneuten Anlauf mit der Gitarre endlich gelang, den wunderbaren «One Note Samba» spielen zu lernen.

«So eine schöne Gitarre, und dieser Klang, einfach wunderbar», sagte ich zu Philippe*. Er strahlte. Seit einiger Zeit begleitete er mit der Gitarre den Chor des Besuchsdienst Bern, eine soziale Institution, die Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen eine Ausbildung in sozialer Betreuung anbietet und anschliessend Besuchseinsätze bei betagten und kranken Menschen vermittelt. Marie-José hatte diese Einrichtung aufgebaut und schon bald die Bedeutung der Musik erkannt, einerseits im Verlauf der Ausbildung und andererseits bei der Arbeit mit älteren Menschen. Mit Barbara La Faro fand sie eine einfühlsame Chorleiterin und Ausbildungsperson.

Welcher Gitarrist fühlt sich nicht geschmeichelt, wenn sein Instrument bewundert wird. Ich kam rasch ins Gespräch mit Philippe und erzählte ihm auch von meinen verschiedenen Anläufen mit der Gitarre. Das hörte auch Dominik Escher, ein Musiklehrer und Musiktherapeut, den Barbara für die instrumentale Begleitung des Chors mit Gitarre, Handharmonika, Perkussionsinstrumenten oder Bass engagiert hatte. Wir kannten uns bereits vom «Sing-Ding»-Chorprojekt. Nach kurzem Fachsimpeln fragten Philippe und Dominik, ob ich nicht lieber im Chor mit der Gitarre mitspielen möchte, statt nur als Ehemann von Marie-José die Konzerte zu besuchen. Und wie ich das wollte.

Rasch musste ich feststellen, dass diese Aufgabe gar nicht so einfach ist. Den einen oder anderen Akkord nachzuschauen, war kein Problem. Doch brauchte es oft ein Intro, damit der Chor auf den Anfangston vorbereitet ist, ebenso Überleitungen und je nach Arrangement gelegentlich ein Solo. Besonders anspruchsvoll wurde es, wenn die Lieder während der Probe in eine andere Tonart transponiert werden mussten, weil die Singenden mit den hohen oder den tiefen Tönen Mühe hatten. Schliesslich sind viele Chorlieder schwieriger, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Scheinbar harmlose Songs können einen mit komplexen Rhythmen und Harmonien ins Schwitzen bringen. Seit ich «Waterloo» begleiten musste, schnöde ich nicht mehr über Abba.

Die Chorproben fanden im Zwei-Wochen-Rhythmus statt. Ich musste alles «on the job» lernen. Mit meinem bisherigen Repertoire an Akkordgriffen musste ich ziemlich hart arbeiten. Ich kannte von den meisten Akkorden nur eine oder zwei Versionen, was bei schnellen Liedern mit vielen Akkordwechseln hektisch wurde. Auch hätte ich gerne mit weiteren Akkorden eine etwas «jazzigere» Note ins Spiel gebracht. Die Lust und das Bedürfnis nach Weiterbildung erwachten wieder. Zuerst suchte ich in meinen alten Unterlagen von der Maturitätsschule und den Klavierstunden nach Hinweisen. Dann fragte ich bei Krompholz nach Anleitungen für Jazzgitarristen. Tatsächlich gab es im damals noch riesigen Musikgeschäft an der Spitalgasse ein breites Angebot an Heften und Büchern, zum Teil auch Kurse mit CD. Doch viel lieber als einen Lehrgang allein von A bis Z durchzuarbeiten, hätte ich gezielte Unterstützung für meine Aufgabe der Chorbegleitung erhalten.

Ich suchte einen Lehrer, bei dem ich anhand der Herausforderungen «in der Praxis» nach und nach das nötige Wissen ergänzen oder neu erarbeiten konnte und fand im Internet die «Klampfenstube» von Jonas Zahnd, in unmittelbarer Nähe meines damaligen Büros an der Münstergasse in der Berner Altstadt. Jonas baute sich mit Auftritten und Gitarrenstunden eine Existenz auf und hatte auch schon CDs mit eigenen Songs produziert. Er konnte anhand der aktuellen Lieder des Chors sehr gut auf mein Anliegen eingehen und gab mir viele Hinweise, wie ich mein Spiel verbessern und eigenständiger gestalten konnte. Er brachte mir Songs bei, um die Puzzleteile doch etwas systematischer zu einem Bild zusammenzufügen.

Zum «Jazz Waltz» erhielt ich ein Blatt, worauf die Akkorde mit grossen Buchstaben notiert waren, ein Ausdruck von «iReal Pro», wie ich später herausfand. Dieses geniale und günstige Programm auf dem Computer bzw. die App auf mobilen Geräten zaubert einem die Rhythmusgruppe einer Band ins Wohnzimmer, die geduldig und ohne zu ermüden in beliebigen Tempi, Tonarten, Rhythmen spielt. Ein perfektes Werkzeug fürs Üben.

Langsam begann mein Gitarrenspiel ein wenig nach Jazz zu klingen. Das wiederum weckte Lust auf mehr. Ich erzählte Jonas vom Erlebnis mit dem One Note Samba in Wien, worauf er fand, es sei nun höchste Zeit, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Nach einigen Wochen konnte ich den Song ungefähr so spielen, wie ich ihn von der Bootsfahrt auf der Donau am 1. August 1972 in Erinnerung zu haben glaubte.

Weniger gut fanden sich Jonas und ich bei den vielen Fragen zur Harmonielehre, die ich immer wieder in die Stunde mitbrachte. Ich wollte nicht einfach nur nachspielen, sondern auch verstehen. Als Jonas statt in seiner heimeligen Wohnung an der Münstergasse in einem ungemütlichen Keller-Probelokal zu unterrichten begann, liess ich die Intervalle zwischen den Stunden immer länger werden. Eines Tages beendeten wir die Zusammenarbeit. Ein seltsames Gefühl, das ich mir wie einen Trainerwechsel im Sport vorstelle. Plötzlich spürt man, dass man sich nicht mehr so gut versteht.

Den «One Note Samba» aber spiele ich regelmässig auf der Gitarre, obschon ich jetzt mehrheitlich mit dem Bass unterwegs bin. Ich hatte mir ja geschworen, diesen Song nie zu vergessen.

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