The Man I Love

Weshalb auch eine einmalige Chance zur richtigen Zeit kommen sollte, um nicht wegen anderer Prioritäten und Herausforderungen mehr oder weniger ungenutzt vertan zu werden.

Wenn es die kantonale Maturitätsschule für Erwachsene schon ermöglicht, auf dem zweiten Bildungsweg die Lehramtsmatura zu erwerben, wollte ich diese Gelegenheit beim Schopf packen. So käme ich neben den üblichen Lerninhalten auch in den Genuss «kreativer» Fächer wie Zeichnen, Musik und Instrumentalunterricht. Eine grosse Chance für die Fortsetzung des Neustarts mit der Gitarre.

An der Zürcher Gitarrenschule in der Nähe des Grossmünsters erhielt ich meine ersten Privatstunden, vom kurzen Piano-Input von Robert Boog am Freudenberg einmal abgesehen. Eine perfekte Gelegenheit, endlich systematisch Gitarre spielen zu lernen. Ich musste wieder ganz von vorn beginnen und im wahrsten Sinne des Wortes das Handwerk erlernen. Das stelle ich heute beim Betrachten der Hefte und der zahlreichen vervielfältigten Blätter des Lehrers wieder erstaunt fest.

Trotzdem gelang es mir nicht, endlich richtig Feuer zu fangen, mich wirklich aufs Instrument zu konzentrieren. Es waren in diesen drei Jahren gar viele andere Lerninhalte in kurzer Zeit zu bewältigen. Der Instrumentalunterricht lief als eines von vielen Fächern nur nebenher und verursachte zum Glück keine schlaflosen Nächte wie etwa die Mathematik. Auch mussten die Lernfortschritte nicht wie in den anderen Fächern dauernd in Prüfungen nachgewiesen werden.

Aufs Notenlesen und die Harmonielehre liess ich mich nur halbherzig ein. Ab Blatt zu spielen oder zu sin gen lernte ich erst viel später. Ich lernte die Melodien und Griffe möglichst schnell auswendig und spielte dann nach Gehör. Auf Grund der Notizen in den Noten und auf den Blättern des Lehrers muss ich mich aber doch irgendwie durchgemogelt haben. An der Matura spielte ich das wunderschöne Lied «The Man I Love» von George Gershwin in einer vom Lehrer eigens arrangierten Version und erhielt dafür auch eine gute Note. Heute müsste ich das Lied wieder neu lernen. Die Finger finden die Wege nicht mehr von selbst.

Verpassten Gelegenheiten nachzutrauern bringt nichts. Doch zurückschauend wird mir bewusst, dass mir damals wohl auch meine Ungeduld beim Lernen im Weg gestanden war. Auch heute muss ich aufpassen, nicht in diese Falle zu tappen. Meist versuche ich neuen Stoff schon nach ersten Lernschritten mit – oft nur vermeintlich – bereits vorhandenem Wissen zu verbinden oder beginne Neues zu erkunden. Dabei laufe ich Gefahr, mich zu verlieren, nach einer Weile unzufrieden aufzugeben oder einfach wieder von etwas Neuem angesteckt zu werden. Für das selbständige Erlernen theoretischer Inhalte ist dieses Vorgehen sicher nicht schlecht. Ein Instrument spielen zu lernen, verlangt hingegen Geduld und Ausdauer. Etwas leichter fällt mir das heute schon.

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