Song for Bilbao

Weshalb die Aufgaben eines Bandleaders kein Zuckerschlecken sind und eine sehr hohe soziale Kompetenz erfordern.

Nur zwei Absagen erhielt ich auf die Terminumfrage für ein Treffen der «Band von der Curlinghalle». Wie vereinbart hatte ich nach den Sommerferien mit einer E-Mail an das Gespräch am Jazzworkshop in Interlaken (» On Green Dolphin Street) über ein mögliches Treffen erinnert und mich erkundigt, ob dafür immer noch Interesse vorhanden sei. Die Zusagen kamen postwendend.

Zu siebt standen wir an einem Samstagmorgen im Spätherbst beim Kaffee in der Küche des Besuchsdienst Bern, wo ich einen Raum gemietet hatte. Alle redeten munter durcheinander. Die in Interlaken geknüpften Beziehungen lebten sofort wieder auf. Nachdem das Schlagzeug aufgestellt, das Klavier gedreht und die Instrumente gestimmt waren, schlug ich vor, mit einem Song zu beginnen, den wir in Interlaken gespielt hatten, um hoffentlich rasch wieder einen gemeinsamen Klang zu finden. Ich betonte nochmals, dass ich mich nicht als Bandleader sähe, höchstens als Moderator. Doch, doch, das sei schon okay, ich solle einen Song vorschlagen, hiess es.

«Also dann, «On Green Dolphin Street», schlug ich vor, und schon erklang das unverkennbare Motiv der ersten Takte. Alle spielten durcheinander, bis Koni am Schlagzeug sich schliesslich durchsetzen konnte und den Song anzählte. Als der Song nach einer Weile Fahrt aufgenommen hatte, befanden wir uns endlich wieder mitten auf der Green Dolphin Street, die gemäss Liedtext das «Setting for nights beyond forgetting» bietet. Es kann eine ganze Weile dauern, bis sieben Bandmitglieder nach dem Chorus ihre Soli und dann nochmals zwei abschliessende Durchgänge gespielt haben. Aber je öfter wir die Strophen wiederholten, desto geschmeidiger lief der Song und desto inspirierter wurden die Improvisationen.

Nach den letzten Takten war es eine Weile still. «Wow, das hat Spass gemacht. Und jetzt wie weiter?» Alle schauten zu mir. Ich konnte meinen Satz mit dem Hinweis auf den ebenfalls in Interlaken gespielten Song «Stolen Moments» nicht vollenden, als schon das Motiv des Intro erklang. Die Band war nicht mehr zu bremsen. Als auch dieser Song ausführlich wiederbelebt war, gingen die Gespräche wieder munter los. Mit einer Glocke, die ich zufällig im Raum sah, versuchte ich die Aufmerksamkeit der anderen zurückzuerobern. Ich gab zu bedenken, dass wir besser eine Weile bei einem Song verbleiben sollten, bis man ihn so richtig gut spielen könne. Nach weiteren Wiederholungen von «Stolen Moments» und «On Green Dolphin Street» waren die Fortschritte deutlich hörbar.

Nach dem Mittagessen wollte Yvonne den von ihr vorgeschlagenen «Song For Bilbao» von Pat Metheny spielen, eine ziemlich schwierige Nummer, wie wir gleich feststellten. Besonders herausfordernd war, dass der zweimal zu spielende A-Teil im 4/4-Takt, der für das Stück so charakteristische B-Teil aber im 6/8-Takt geschrieben steht. Die Schwierigkeit bestand darin, nach den vier 6/8 Takten des B-Teils wieder in den 4/4-Takt zurückzufinden. Das Zusammenspiel wollte bei diesem für die meisten von uns neuen Song nicht so gut klappen. Ich bestand jedenfalls nicht auf einer Wiederholung und war auch nicht traurig, dass wir anschliessend wieder ein einfacheres Stück anpackten.

«Sehr schön», meinte Stephan Urwyler, als ich ihn ein paar Tage später bat, mit mir den «Song for Bilbao» zu analysieren. Da hätten sich schon viele die Zähne ausgebissen, meinte er. Wir hörten zuerst einige Aufnahmen, wobei mir die Version von Michael Brecker auf der CD «Tales from the Hudson» besonders gut gefiel. Die rhythmische Analyse begann Stephan, indem er den metrischen Hinweis «Achtelnoten = Achtelnoten» vor dem BTeil auf dem Notenblatt bzw. Leadsheet mit einem farbigen Stift hervorhob. Zähle man die Achtel, gehe es schön auf, wobei man mit dem Fuss am besten die Viertel klopfe. Der B-Teil sei dann genau zwölf Viertel lang. Weiter soll hier nicht auf die Einzelheiten eingegangen werden. Aber Stephans Bemerkung, der «Song For Bilbao» sei auch für Profimusiker nicht einfach, hatte ich nicht überhört.

Ein Bandleader müsse, sei die Rolle nun freiwillig gewählt oder nicht, die anderen darauf hinweisen, wenn ein Stück für die Band offensichtlich zu schwierig sei, ergänzte Stephan. Allerdings würden dies die anderen gar nicht so gerne hören. Das kann ich nur bestätigen. Als wir uns nach Weihnachten ein zweites Mal zu einer Probe trafen, diesmal bei Yvonne und Koni in Zimmerwald, wollten die anderen gar nicht erst auf meinen Hinweis eingehen. Sie hätten den Song in der Zwischenzeit nochmals angeschaut, hiess es, das sei schon zu schaffen.

Ich liess das unerwidert, war ich doch mit meiner vorübergehenden Rolle als Gitarrist ausreichend beschäftigt. Ich bin ja in der Zwischenzeit als Bassist in eine Band aufgenommen worden, mit der ich im Frühling gemeinsam am Workshop in Interlaken teilnehmen werde. Zum Glück hatte ich mit Julia, die ebenfalls bei Housi Bassstunden nimmt, Ersatz gefunden. Sie kannte bereits einige Mitglieder der «Band von der Curlinghalle» und war spontan bereit, nach Zimmerwald mitzufahren und an meiner Stelle Bass zu spielen. Selber hatte ich ein grosses Vergnügen am kurzen Ausflug mit der Gitarre, war aber zwei Wochen später an der Probe meiner neuen Band froh, wieder am Bass stehen zu dürfen.

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