Always look on the bright side of life

Welche Erfahrungen man als Mitglied eines Chors sammeln kann und weshalb man darauf gefasst sein sollte, dass es dabei nicht immer nur um Musik geht.

Stadtmenschen spüren keinen Druck, am Dorfleben teilzunehmen, weder in der Feuerwehr noch im Turnverein, auch nicht in einer Musikgesellschaft oder einem Chor. Gut möglich, dass man auf dem Land leichter musizierend zueinander findet als in einer grösseren Stadt.

Ab und zu ermuntern einen Bekannte, ein Konzert ihres Chors zu besuchen oder laden gar zum Mitsingen ein, weil Nachwuchs gesucht wird. Trotz der guten Erinnerungen an den Schülerchor in der Mittelschule, hatte ich solche Einladungen bisher immer dankend abgelehnt. Die in Bern bekannteren Chöre kämen nur schon wegen des Repertoires an kirchlichen Werken nicht in Frage. Wie könnte ich als ewiger Zweifler ehrlich und mit Inbrunst singend Gott lobpreisen und das mit diesen Liedern verbundene religiöse Selbstverständnis teilen? Als ich einmal eine Probe eines solchen Chors besuchte, auf die ich durch ein Inserat im Quartieranzeiger aufmerksam geworden war, bestätigten die andächtige Stimmung und der fromme Chorleiter sämtliche Vorurteile.

Ich hatte auch keinen Bezug zu volkstümlichen Chören, obschon ich jetzt mit dem Kontrabass gar nicht ungern auch einmal einen «lüpfigen» Ländler begleite und mich nicht zweimal bitten liesse, einmal in einem so originellen Ensemble wie die «Geschwister Küng» aus dem Appenzellerland mitzuspielen.

Dann fragte mich Barbara La Faro nach einem Konzert des Chors des Besuchsdienst Bern beim Apéro, ob ich Lust hätte, in einem von ihr geleiteten Projektchor mitzuwirken, wo während einer begrenzten Zeit Lieder einstudiert werden und das Projekt nach einem oder zwei öffentlichen Auftritten wieder abgeschlossen wird. Eine gute Möglichkeit, ohne Vereinsleben den Chorgesang auszuprobieren. Mit dem Glas in der Hand, begeistert vom schönen Klang des Chors und der sichtbaren Freude der Sängerinnen und Sänger, sagte ich ohne lange nachzudenken zu. Singen könnte auch mir guttun.

Es war schon die dritte oder vierte Probe des «Sing-Ding» Chors, als ich an einem Dienstagabend zum ersten Mal im Probelokal eintraf, ein grosser Raum im Untergeschoss eines Bürogebäudes. Wir standen zwischen Gymnastikbällen und Turngeräten. Tagsüber wurden hier Pilates und andere Aktivitäten zur körperlichen Ertüchtigung angeboten. Erste Lieder standen bereits fest, eine bunte Mischung von Ohrwürmern wie Mani Matters «Trambilliee», «Hit The Road Jack» oder «I can see clearly now».

Das Repertoire passte mir, stellte aber auch eine Herausforderung dar. Als Bassstimme muss man bei mehrstimmigen Arrangements meist eine andere Melodie singen, als man zu kennen glaubt. Orientiert man sich dabei an anderen Sängern, kann das fürchterlich daneben gehen und mitunter auch zu bösen Blicken oder halblauten giftigen Bemerkungen führen. Soziale Beziehungen machen sich nicht nur im regen Austausch während der Pausen, sondern auch auf diese Weise bemerkbar.

Nicht wenige der Sängerinnen und Sänger im Projektchor kannten sich von früheren Chören und Projekten schon länger. Einige sangen gar gleichzeitig in mehreren Chören. Es gab unter den Chormitgliedern Paare, die sich beim Singen kennengelernt hatten, auch solche, die sich getrennt hatten und sich trotzdem zum Singen in unserem Chor wieder begegneten.

Ich musste auch akzeptieren, dass die Verpflichtung zur regelmässigen Teilnahme an Proben sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Besonders ärgerlich ist das, wenn man im kleinen Grüppchen der Bässe an einer schwierigen Stelle knorzt und darauf hofft, sie an der nächsten Probe endlich souverän wiederholen zu können. Aber dann fehlen wieder einzelne Sänger, während andere nach längeren Absenzen wieder auftauchen und die schwierigen Stellen natürlich noch nicht beherrschen. Da bleibt nur, die Melodien für sich zu lernen und sich von den andern nicht mehr aus dem Konzept bringen zu lassen.

Das Programm des «Sing-Ding» Chors wurde stetig umfangreicher und die Proben intensiver. Mehrmals probten wir einen ganzen Samstag. Als der Auftritt näher rückte, wirkten neben dem Pianisten noch weitere Instrumentalisten mit, Profimusiker und Musiklehrer, die sich im harten Musikgeschäft auf diese Weise etwas dazuverdienen können. Dank der Begleitung mit Gitarre, Bass und Schlagzeug ging mit «Proud Mary» schon ganz schön die Post ab, bewirkten «My Way» oder das «Guggisbergslied» schon mal etwas Hühnerhaut. Das war der Zauber des Chorgesangs.

Die Flyer mit der Werbung für die beiden Konzerte in der Cinématte Bern lösten Vorfreude und mulmige Gefühle aus. Ebenso die leicht misslungene Hauptprobe. Der erste der zwei Auftritte gelang gut, vermutlich weil wir uns mit der Anspannung sehr konzentriert hatten. Beim zweiten Mal schlichen sich einige kleine Fehler ein. Doch war die Freude am gemeinsamen Erlebnis so gross, dass wir uns nach den Sommerferien bereits wieder trafen, um ein neues Projekt zu starten.

Bis auf wenige Personen blieben wir in der gleichen Zusammensetzung. Man kannte sich besser, was auch bedeutete, voneinander Schwächen und Stärken zu kennen und auch zu ahnen, wer unbedingt einen Solopart singen wollte. Was dies einzelnen Chormitgliedern bedeuten kann, fand ich erst so richtig heraus, als ich selber an der Reihe war. Im Song «Always Look On The Bright Side Of Life» von Monty Python wird eine kurze Phrase gepfiffen. Ohne besondere Absicht, einfach weil ich gerne pfeife, hatte ich mich während der Proben mehr oder weniger in die Rolle des Solisten gepfiffen. Ich sollte die paar Takte beim ersten Chorus vorpfeifen und dann das Publikum zum Mitmachen animieren. Das gelang gar nicht übel, weshalb ich wie vereinbart pfeifend zu improvisieren begann. Darauf hörten die Zuschauenden gleich wieder zu pfeifen auf und schienen Strophe um Strophe auf mein Solo zu warten. Es war abenteuerlich.

Rückblickend erscheint mir das zweite Projekt qualitativ besser gewesen zu sein. Die zwischenmenschlichen Beziehungen jedoch waren angespannter. Besonders deutlich wurde dies nach dem Konzert im voll besetzten Saal des Schloss Köniz spürbar. Kaum war der Schlussapplaus verklungen, gingen die meisten formlos auseinander. Im grossen Schlosshof sahen sich nur jene Chormitglieder und deren Angehörige wieder, die einander etwas näher standen. Vielleicht hatte ich einfach falsche Erwartungen und nicht bedacht, dass alle die Entspannung nach dem Auftritt auf ihre Weise geniessen wollten. Mir hätte eine Art Abschiedsritual zum Ende des Projekts gefehlt, klagte ich anschliessend beim Bier. «Freue dich doch an deinem gelungenen Solo», meinten die anderen, «und versuche nun einfach nur die positiven Seiten des Lebens zu sehen».

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