Weshalb überraschende Herausforderungen ebenso zu einem Jazzworkshop gehören wie die Gelegenheit, viele neue Menschen kennenzulernen und Erfahrungen im gemeinsamen Musizieren zu sammeln.
Schon bei der erstmaligen Teilnahme an den Workshops der Langnau Jazz-Nights kam ich gleich in der ersten Stunde arg ins Schwimmen, als mich Joanna Pascale aufforderte, zu «I Got The Sun In The Morning» besser Walking Bass statt nur Wechselbass zu spielen. Weil ich Walking Bass bisher nur nach Vorlagen gespielt hatte, fiel es mir schwer, Akkordfolgen selbständig mit fliessenden Basslinien zu verbinden.
Bei der zweiten Teilnahme im Jahr darauf, wiederum im allerersten Workshop der Woche, verlangte Adam Nussbaum, ich solle einen 7/4-Takt spielen. Das was mir völlig neu. Adam spürte die Unsicherheit sofort und begann auf mich einzureden: «Franz, you don’t only play bass you are the base of the band». Ein schönes Wortspiel, bass und base werden in englischer Sprache gleich ausgesprochen [beis], was mir jedoch gar nicht weiterhalf. Rasch einen einfachen Walking Bass zu spielen, hatte ich in der Zwischenzeit gelernt. Nun war ich wieder aufgelaufen, konnte mich jedoch im Verlauf der Stunde einigermassen retten. Ich bin gespannt, wie die nächsten Langnau Jazz-Nights beginnen, für die ich mich kürzlich angemeldet habe.
Bernhard, den ich vor vielen Jahren im Boxkeller von Charly Bühler kennengelernt hatte, erzählte mir immer wieder von dieser Veranstaltung im Emmental. Er spielt Saxophon und kennt den Jazz so gut wie seine Hosentasche. Auf Grund seiner Berichte war ich ab und zu versucht, als Gitarrist an den Jazz-Nights in Langnau teilzunehmen, hatte mich aber nie getraut. Zum Glück, muss ich im Nachhinein feststellen. Der Job der Gitarristen in diesen Workshops ist sehr anspruchsvoll. Einerseits gilt es die Band zu begleiten und all die teilweise komplexen Jazzakkorde korrekt zu spielen, und zwar so, dass die Gitarre weder die Sängerinnen mit den hohen Tönen stört, noch dem Bass mit den tiefen Tönen ins Gehege kommt. Andererseits wird davon ausgegangen, dass Gitarristen auch jedes Mal ein schönes Solo spielen. Da wäre ich mit meinen Fähigkeiten völlig überfordert gewesen. Erst als Housi, der in der Organisation der Langnau Jazz-Nights mitwirkte und selber Bass-Workshops für Anfängerinnen und Anfänger leitet, mehrmals bestätigte, ich könne das mit dem Bass nun ganz sicher wagen, hatte ich mich angemeldet.
Ich konnte leider erst am Dienstag anreisen und hatte die Eröffnung mit Vorstellung der Dozierenden verpasst. Als ich in Langnau ankam, war der erste Workshop mit allen Lehrpersonen in der Aula der Sekundarschule bereits im Gang. Zum Glück hatte ich unterwegs einen anderen Teilnehmer getroffen, der mir den Weg zeigte. Es erging mir wie an einem ersten Tag in einer neuen Schule. Ich versuchte aus den Stundenplänen schlau zu werden und die entsprechenden Räume zu finden und sah, wie sich die Habitués übers Wiedersehen freuten und sich im Gewimmel zielsicher bewegten.
An den Langnau Jazz-Nights wird man täglich in eine neue Gruppe eingeteilt, mit der man am Vormittag und am Nachmittag je einen Bandworkshop bei zwei verschiedenen Lehrpersonen absolviert. Der Tag beginnt um 10 Uhr mit einer Masterclass. Fortgeschrittene können mit den Dozentinnen und Dozenten, meist bekannte Jazzmusiker, fachsimpeln. Die übrigen Teilnehmenden, zu denen ich mich auch zähle, erleben mit Housi Ermel eine Stunde in der einmal Rhythmik und ein anderes Mal Harmonielehre im Mittelpunkt stehen.
Um 11 Uhr beginnen die Bandworkshops. Neben der Rhythmusgruppe mit Schlagzeug, Gitarre und Bass finden sich Teilnehmende mit Blasinstrumenten, Sängerinnen und Sänger und manchmal auch jemand mit einem Streichinstrument in einem der Räume der Musikschule Langnau ein. Das ist vor allem zu Beginn noch etwas stressig, bis man sich daran gewöhnt hat, den Kontrabass auszupacken und sich in den meist engen, mit Instrumenten, Verstärkern, Lautsprechern, Notenständern und Stühlen verstellten Räumen einzurichten und am Schluss noch das Instrument zu stimmen, in der Hoffnung, die Bläser begännen sich nicht schon einzuspielen.
Es gibt so genannte «performing» und «non performing» Bandworkshops. In den ersteren versucht man binnen einer Stunde ein von der Dozentin oder dem Dozenten mitgebrachtes Stück einzustudieren, das am frühen Abend auf der Bühne mitten in Langau auf dem Viehmarkt öffentlich aufgeführt werden soll. In diesen Workshops ist von Anfang an eine gewisse Nervosität zu spüren. Aber genau dies ist das Salz in der Suppe der Langnau Jazz-Nights. Der Anspruch ist nicht Perfektion. Das Ziel besteht darin, in kurzer Zeit zu lernen, mit anderen Menschen zu musizieren, aufeinander zu hören, kritische Situationen zu meistern und Bühnenerfahrung zu sammeln. In den «non performing» Workshops geht es vergleichsweise entspannt zu und her, es sei denn, man müsse gerade einen Song im 5/4-Takt spielen.
Nach der Mittagspause, die man bei schönem Wetter mit dem täglich wachsenden Kreis an Bekannten draussen verbringt, finden die Instrumental-Klassen statt. Es ist anfänglich ein ungewohntes Gefühl, mit zehn anderen Bassisten und ganz selten einmal einer Bassistin im Raum zu stehen. Aber rasch entsteht eine besondere Verbundenheit, die vermutlich mit unserer Rolle in einer Band und der Tatsache zusammenhängt, dass wir nicht wie Bläser in mehrfacher Besetzung in einer Band spielen. Schon im ersten Jahr spürte ich den grossen gegenseitigen Respekt und das Interesse, einander zuzuhören, Ratschläge anzunehmen oder zu geben. Und alle geniessen es, von den Dozenten, die sonst als Bassisten mit bekannten Musikern durch die Welt touren, zu lernen.
Im zweiten Bandworkshop um 15 Uhr stellt man meistens fest, dass musizieren ganz schön anstrengend sein kann, und beginnt sich langsam auf die Konzerte am Abend zu freuen. Um diese Tageszeit in einen performing Workshop eingeteilt zu sein, hat aber auch den Vorteil einer zeitnahen Vorbereitung auf den Auftritt, womit sich auch die Dauer des obligaten Lampenfiebers in Grenzen hält. Eine Viertelstunde vor dem Auftritt trifft man sich vor der Bühne beim Viehmarkt, packt die Instrumente aus und hört mit einem halben Ohr der vorher spielenden Band zu. Ist der Applaus für deren Darbietung verklungen, bleiben ein paar wenige Minuten, um sich auf der Bühne einzurichten, das Instrument zu stimmen und den Blick über die Zuschauer streifen zu lassen. Unter den Zuhörern befinden sich neben den anderen Teilnehmenden auch deren Angehörige, die Dozenten und Leute, die zufällig vorbeikommen. Die Dozentin oder der Dozent, die mit der Band das Stück einstudiert haben, stehen zur Unterstützung manchmal vor und auch auf der Bühne. Sie sagen ein paar Worte zur Band und zum Song, zählen ein und schon geht es los.
Natürlich gibt es immer wieder unsichere Augenblicke oder gar gröbere Pannen. Aber beginnt ein Song schon nach dem Intro so richtig zu swingen, kann einen der Fluss mitreissen, zu einem schönen Erlebnis führen und man steigt kurze Zeit später ganz beseelt wieder von der Bühne und gratuliert sich gegenseitig zum bestandenen Abenteuer. Man trifft sich beim Abendessen, besucht miteinander die Konzerte in der Kupferschmiede, trinkt zusammen ein Bier und erkundigt sich gegenseitig nach dem nächsten Tagesplan.
Das Geheimnis dieser Woche, die für mich zu den schönsten des Jahres gehört, sind die vielen Begegnungen mit den anderen Teilnehmenden. Als Musikerinnen und Musiker sind die meisten «auf Empfang», aufs Zuhören eingestellt und offen für andere. Weil die Gruppen täglich neu zusammengestellt werden, entstehen zwischen den Workshops und vor allem in den Pausen spannende Gespräche mit immer wieder anderen Teilnehmenden. Bei der zweiten Teilnahme konnte ich feststellen, dass solche Begegnungen keineswegs oberflächlich waren. Man erinnerte sich an Gespräche, erkundigte sich nach der Fortsetzung einer Geschichte und freute sich, zufällig wieder in der gleichen Band spielen zu können. Und ich hatte richtig rote Ohren, als mir einer der anderen Bassisten nach einem Auftritt auf die Schultern klopfte und vor allen Leuten meine Fortschritte lobte.