Vorwort

Weshalb ich mit meinen musikalischen Erfahrungen darstellen möchte, dass es nie zu spät ist, ein Instrument spielen zu lernen und einen Teil seines Lebens der Musik zu widmen.

«Gerne würde ich musizieren, ein Instrument spielen können.» Verschiebt sich mit dem Älterwerden der Fokus der Lebensinhalte langsam von beruflichen zu philosophischen oder musischen Interessen, wünschen sich das wohl nicht wenige. Gefolgt vom Stossseufzer: «Aber leider hatte ich als Kind oder Jugendlicher nie ein Instrument richtig spielengelernt.»

Langer Weg Andere bedauern, zu früh aufgegeben zu haben. Sie hatten sich damals gegen den bei den meisten Menschen nötigen Druck gewehrt, den Unterricht durchzuhalten und regelmässig zu üben. Dazu sei es nie zu spät, antworten Musizierende auf dem zweiten Bildungsweg schnell, ihre Anfangsschwierigkeiten grosszügig verschweigend. Der Weg von der Idealvorstellung bis zum ersten Auftritt mit einem Ensemble ist spannend, aber auch lang und herausfordernd.

Erwachsenengerecht Musik ist ein grenzenloses Betätigungsfeld mit verschiedensten Zugängen. Den individuell besten Lernweg zu finden, ist nicht einfach. Suchende geben oft rasch wieder auf, wenn sie nicht – wie ich – das Glück haben, Menschen zu begegnen, die Anregungen geben, durch Hochs und Tiefs begleiten, und zwar erwachsenengerecht. Ganz genau: erwachsenengerecht!

Aber ohne Vorurteile Als ich mich mit 40 Jahren entschloss, Klavier spielen zu lernen, wollte ich nicht zusammen mit Kindern in einer Musikschule die Grundlagen erarbeiten. Ich wünschte mir einen Lehrer, der mich mit einfachen Jazzstandards statt «Fuchs, du hast die Gans gestohlen» mit dem Instrument vertraut machen würde. Im Gegensatz zu den Kindern hatte ich doch bereits unzählige Melodien verschiedenster Stilrichtungen im Kopf. Diese Vorurteile habe ich längst abgebaut. Auch schein- bar einfache Kompositionen sind oft sehr raffiniert und wohl gerade deshalb so bekannt. Ausserdem eignen sich diese Lieder besonders gut für erste Versuche zu improvisieren undharmonische Spielereien. «Happy Birthday» in Moll statt Dur wäre einen Versuch wert. Und noch etwas: Mit Kindern und Jugendlichen zu musizieren, kann sehr viel Freude bereiten.

Musik tut gut. Selbst zu musizieren noch mehr, das möchte ich weitergeben. Aber nicht mit Ratschlägen: Ich berichte von meiner musikalischen Entwicklung und den Lernprozessen. Die Erzählungen beginnen viele Jahre vor dem Piano-Neustart mit einem traumatischen Erlebnis in der Primarschule, das lange nachwirken sollte (Hänschen klein). Vielleicht haben Sie, liebe Leserin, lieber Leser ähnliche Erfahrungen gemacht. Vielleicht sind solche Erlebnisse der Grund, dass Sie noch keinen Neuanfang gewagt haben. Falls Sie dies doch noch tun möchten, könnten meine Geschichten ermutigen oder auch dazu beitragen, dass Sie nicht die gleichen Fehler machen wie ich.

Erinnerungen sind bekanntlich immer Interpretationen von Erlebnissen und der damit verbundenen Gefühle. Es mag sich also manches auch ganz anders abgespielt haben, als ich es erzähle. Aber so funktioniert eben das menschliche Gehirn.

Ratschläge zu erteilen, den besten Weg aufzuzeigen, ist wie erwähnt nicht beabsichtigt. Wie käme ich auch dazu. Zweifel an mir selbst und am richtigen Vorgehen sind meine treuen Begleiter. Sie melden sich, wenn die Lernkurve abflacht, wenn ich beim Musizieren mit  anderen meine technischen und musikalischen Defizite wahrnehme. Defizite sind unüberhörbar, sofort. Im Gegensatz zu anderen Lernstoffen ist Durchwursteln schwierig. Soll ein Stück mit 180 Schlägen pro Minute gespielt oder eine Ballade ganz präzise und perfekt intoniert werden, kann man nicht einfach eine Weile den Ball flach halten oder bluffen.

Songs als Titel Als Überschrift der Geschichten wählte ich jeweils einen Songtitel. Die Idee schaute ich Hermann Burger ab, der im Roman «Brenner» die Kapitel mit Namen von Zigarren überschrieb. Die Songs nachzuspielen sollte besser verträglich sein, als bei der «Brenner»-Lektüre die entsprechenden Zigarren zu rauchen. Nach dem vierten Kapitel musste ich dieses Vorhaben allerdings aufgeben.

Gerne hätte ich die Kapitel mit den Noten zu diesen Songs illustriert. Man könnte sich besser an die Lieder erinnern oder unbekannte Melodien erahnen. Doch die urheberrechtlichen Vorschriften sind streng. Unmöglich, wie in wissenschaftlichen Texten die Noten zu zitieren und deren Herkunft mit korrekten Verweisen zu belegen. Ich befolge deshalb den Ratschlag «Finger weg!» und wähle einen anderen Weg: rhythmische Formen, Patterns. Diese braucht es zum Improvisieren. Solche Phrasen begleiten durch den Text.

Aufbau Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im A-Teil versuche ich mein musikalisches Lernen bis zu den Anfängen desBerufslebens mehr oder weniger chronologisch nachzuerzählen. Im B-Teil beschreibe ich den Neustart mit den Klavierstunden in der zweiten Lebenshälfte. Die Geschichten im C-Teil des Buchs sind zur Mehrheit schöne Augenblicke,in denen ich gerne die Zeit angehalten hätte, sowie auch ein paar lehrreiche Erlebnisse mit der Musik. In Zwischenspielen und bei der Zugabe erlaube ich mir einige eher «philosophische» Gedanken.

Die Vornamen der Handelnden in den Geschichten sind echt, ausser jene, die mit einem Stern (*) versehen sind. Das ist ja kein Schlüsselroman, keine Biografie mit versteckten Seitenhieben oder Abrechnungen. Die Lehrerinnen und Lehrer erwähne ich mit dem vollen Namen. Ich habe um ihr Einverständnis gebeten.

Mir nach! Und jetzt bitte ich, wie das Michail Bulgakov in «Der Meister und Margarita» am Schluss seiner Einleitung schrieb: Mir nach, liebe Leserinnen und Leser!

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