Tantum ergo

Weshalb man einer Einrichtung dankbar sein kann, obschon sie einen weder inhaltlich noch in ihrem Tun überzeugt.

Einstellungen zu Glaubensfragen oder zur Kirche als Institution können sich über die Jahre verändern. Mit Blick auf auf meine musikalische Entwicklung, das muss ich zugegeben, habe ich der Kirche allerdings viel zu verdanken. Hier konnte ich Selbstvertrauen gewinnen, singen und später auch Gitarre spielen lernen.

Als Ministrant verbrachte ich ziemlich viel Zeit in der Kirche, nicht nur beim obligatorischen sonntäglichen Kirchgang. Unter der Woche gehörten Frühmessen und Abendandachten zum Programm. Ich fand diese Aufgabe spannend. Ich erhielt Anerkennung und Bestätigung, lernte mich vor vielen Menschen zu bewegen und später gar Texte vorzulesen. Die Gottesdienste hatten zudem durchaus Unterhaltungswert, auch dank der Musik.

Fromme Andacht Die damals von den Priestern noch in lateinischer Sprache und gegen die Wand gesungenen Gebete wurden von den Kirchgängern von hinten erwidert, unterbrochen von Kirchenliedern in der Reihenfolge der an der Wand angebrachten Nummern. Ministranten mussten die lateinisch gesprochenen oder gesungenen Texte auswendig kennen, freilich ohne die Bedeutung der Worte vollständig zu verstehen. Das in der Abendandacht mit Lesungen und Litaneien oft gesungene lateinische Lied «Tantum Ergo» mit der von Kaspar Ett komponierten Melodie könnte ich heute noch singen.

In der Elfuhr-Messe am Sonntag waren damals die Reihen noch dicht besetzt. Wenn das ganze Kirchenschiff mit Unterstützung der Orgel «Maria, breit den Mantel aus», «Heilig, heilig, …» oder «Grosser Gott wir loben dich» sang, wirkte das beinahe berauschend. Mitgerissen und hemmungslos sang so laut als möglich mit. Erst bei Liedern mit weniger eingängigen Melodien oder komplexen Liedtexten liess ich mich wie die meisten anderen halbleise brummelnd von der Orgel mitschleppen.

Gospelsongs oder «Negro Spirituals», wie man dieses Musik-Genre in den 60-er Jahren noch unbefangen nannte, öffneten mir den verschütteten Weg zum Musikinstrument wieder. Mit dem ein paar Jahre später vom Vatikanischen Konzil ausgelösten frischen Wind wurden in der Kirche nicht nur der Altäre umgedreht und die Messe in deutscher Sprache gelesen. Zuerst in den Gottesdiensten für Jugendliche und zaghaft auch in der gut besuchten sonntäglichen 11-Uhr-Messe wurde nun ab und zu ein Gospelsong gesungen. Das fanden wir unglaublich modern, waren doch solche Songs auch im Radio regelmässig zu hören, zum Beispiel das Golden Gate Quartett mit «Going to lay down my Burden, down by the Riverside». 

In unserer grossen Pfarrei waren neben dem strengen Pfarrer etwa fünf Vikare beschäftigt, unter ihnen ein Westschweizer, der mit seinem von der französischen Muttersprache geprägten Akzent bei den Mädchen besonders beliebt war. Als er in einem Jugendgottesdienst mit uns einen neuen Gospelsong einstudierte, war ich sehr begeistert, vor allem von der Begleitung mit der Gitarre. Das sagte ich dem Vikar anschliessend in der Sakristei. 

Erste Gitarre Ob ich nicht Lust hätte, die Lieder mit der Gitarre zu begleiten, fragte er. Mit seiner einfachen Methode könne man ganz leicht Gitarre spielen lernen. Dank einer besonderen Stimmung der Saiten, an die ich mich nicht mehr erinnere, und einem Kapodaster liessen sich mit einem oder zwei Finger die drei wichtigsten Akkorde in verschiedenen Tonarten spielen und auf diese Weise der grösste Teil des Repertoires an Wanderliedern sowie eben auch die Gospelsongs begleiten. Nach einem kurzen Crash-Kurs packte er die Gitarre in eine Tasche aus Kunstleder. Ich könne sie behalten, bis ich sie nicht mehr benötige.

Dass dies einige Jahre dauern würde, ahnte ich damals noch nicht. Die Gitarre in der hellbraunen Tasche war ab sofort auf Ausflügen und im Lager mit der Jungwacht immer dabei und wurde so fast mein Markenzeichen.

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