Blue Bossa

Wie man sich Hals über Kopf in eine Gitarre verlieben kann, jegliche Zurückhaltung gegenüber einer Online-Bestellung verliert und auf diese Weise zum glücklichen Besitzer eines einzigartigen Instruments wird.

Die guten Plätze im Marians Jazzroom hatte Fredy bewusst ausgewählt, damit ich die Musiker und deren Instrumente gut sehen konnte. So fiel mir Frank Vigno las wunderschöne Gitarre natürlich sofort auf. Im Gegensatz zur voluminösen Westerngitarre seines Partners Vinny Rainolo sah Franks Instrument mit den beiden F-Löchern eher wie eine grosse Bratsche aus und klang einfach himmlisch, wie eine samtene menschliche Stimme.

Das Instrument faszinierte mich so sehr, dass ich den Melodien gar nicht richtig folgte. Das hatte vielleicht auch damit zu tun, dass Vignola und Rainolo sehr virtuos, für meinen Geschmack fast etwas zu routiniert spielten. Vermutlich waren die zwischen den Songs erzählten Geschichten ebenso einstudiert und zum hundertsten Mal ausprobiert wie der an solchen Konzerten übliche Hinweis auf die neueste CD. Die Musik klang perfekt, ging aber nicht in den Bauch. Dafür konnte ich auf den Klang der Gitarre achten. Ich konnte aber deren Namen nicht erkennen. Nach dem Konzert standen die beiden Musiker bei der Garderobe, um ihre CDs zu signieren. Ich wollte mich zuerst ebenfalls in die Reihe stellen, wagte dann Frank Vignola aber doch nicht vor allen Leuten auf die Gitarre anzusprechen.

Auf Vignolas Website konnte ich eine Foto vergrössern, den Schriftzug «Thorell» erkennen und so die Website des Gitarrenbauers Ryan Thorell finden. Meine per E-Mail gestellte Frage, ob man seine Gitarren auch in der Schweiz zur Probe spielen könne, beantwortete Thorell postwendend. Das sei leider nicht möglich, aber er würde mir gerne ein Instrument nach meinen Wünschen bauen. Das erschien mir bei der Preislage der Instrumente dann doch etwas riskant.

Die Gitarre liess mir auch am nächsten Tag im Büro keine Ruhe. Ich hatte mich wirklich in dieses Instrument verliebt, musste zwischendurch immer wieder die Bilder und Videos auf Thorells Website anschauen. Warum also nicht am Abend nochmals ins Marians gehen und Frank Vignola zwischen den beiden Sets ansprechen?

Der Mann beim Eingang öffnete mir sofort die Tür, als ich gegen das Ende des ersten Sets im Marians eintraf und ihm den Grund meines Besuchs nannte. So bekam ich den noch ziemlich in die Länge gezogenen Schluss des Konzerts mit und musste mein Urteil vom Vortag berichtigen. Zwar war die Show auch an diesem Abend völlig professionell. Die Stimmung im Raum empfand ich diesmal viel persönlicher. Der Dialog zwischen Musiker und Publikum war gut zu spüren. Aber vielleicht war ich wegen der Gitarre in der Zwischenzeit auch etwas voreingenommen.

Als ich in der Schlange der CD-Käufer endlich zuvorderst angelangt war, begann ich meine Fragen zur Gitarre stellen. Doch Frank Vignola unterbrach mich mit einem breiten Lachen, gab mir die Hand und sagte: «Ach, du hast gestern Ryan Thorell geschrieben. Hör zu, dort drüben in der Garderobe kannst du meine Gitarre ausprobieren. Du hast bis zum Start des nächsten Sets eine halbe Stunde Zeit. Wirklich, das würde mich freuen», ergänzt er, als ich ihn ungläubig anschaute.

Der erste Kontakt mit einem neuen Instrument ist immer etwas Besonderes, wie eine neue Bekanntschaft mit einem Menschen. Ich war nervös, obschon ich doch in der Garderobe ganz ohne Zuhörende spielen konnte. An den Gebrauchsspuren war zu erkennen, dass Vignolas Gitarre ein echtes Arbeitswerkzeug war. Unverstärkt klang sie nicht mehr halb so gut, im Vergleich zu einer normalen akustischen Gitarre eher dünn. Trotzdem waren die Stimme und der Charakter des Instruments immer noch gut wahrzunehmen. Sie fühlte sich auch unglaublich gut an. Form, Grösse und Gewicht des Instruments passten perfekt.

«Und, bist du ebenso begeistert wie ich?», fragte anschliessend Frank Vignola. Oh ja, und wie, gab ich zur Antwort, ich wolle der Versuchung aber noch etwas widerstehen und ein paar Mal darüber schlafen. Viele Nächte werden das wohl nicht werden, lachte Vignola zu Recht. Nach einem intensiven E-Mail-Austausch mit Ryan Thorell über Hölzer, Farbe, Form und Mechanik bestellte ich schliesslich die allein für mich geplante Gitarre und überwies eine beträchtliche Anzahlung.

Ryan war sich wohl bewusst, dass ich ihm viel Vertrauen schenkte. Regelmässig sandte er Bilder aus seiner Werkstatt in Utah und informierte über den Stand der Arbeiten. Einige Monate später und nach der Überweisung des Restbetrags brachte ein UPS-Kurier das riesige Paket, in der die Gitarre im rundum gut gepolsterten Koffer die lange Reise unbeschadet überstanden hatte. Dass ich nach dem ersten Stimmen den «One Note Samba» spielte, verstand sich von selbst. Danach folgte Vignolas Version des «Blue Bossa», den ich in der Zwischenzeit mit Hilfe seiner CD gelernt hatte, auf der auch eine Spielanleitung und Noten für Soli zu finden sind.

Völlig glücklich machte mich die Thorell-Gitarre, als ich auf Anraten des Gitarrenlehrers statt der Stahlsaiten die «Rope Core Classic» Saiten von Thomastik-Infield aufzog, weiche Stahlseiten mit einem wunderbaren «Sustain». Die tiefen Saiten sind mit versilbertem Kupferband umsponnen, die hohen mit Nylonband überzogen. Das ergibt in Verbindung mit einem speziellen Verstärker für akustische Gitarren eine klangliche Mischung zwischen einer klassischen und einer JazzGitarre, was meinen Vorlieben beim Spielen sehr entgegen kommt.

Obschon ich zu diesem Instrument eine sehr innige Beziehung habe, hat es noch keinen Namen. Mein Kontrabass heisst Albert, und zwar französisch ausgesprochen «Albäär». Den Bass im Besuchsbesuchsdienst Bern habe ich Nico getauft. Der bundlose E-Bass wurde bereits von seinem Erbauer «Mouse» genannt, was mir gefällt und auch gut zur Form passt. Die E-Gitarre nenne ich einfach «Gibson», aber für die Thorell-Gitarre erscheint mir «Thorell» etwas gar trocken. Vielleicht könnte ich sie «Gypsy» taufen, weil sie diesen Instrumenten gleicht und nächstens auch zum Einsatz kommt, wenn ich Marie-José am Schülerkonzert zum Lied «Bei Mir Bist Du Schön» begleite.

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