One Note Samba

Wie man mit einem Musikinstrument Türen öffnen, bei unvorsichtiger Verwendung aber auch wieder schliessen kann.

Frau Kraft hatte die Gitarre sehr wohl zur Kenntnis genommen, ging aber mit keinem Wort darauf ein und führte mich zu einem Zimmer ganz am Ende des Korridors, ein enger Schlauch mit Fenster zum Hinterhof. Sie vermietete in ihrer grossen Wohnung an der Währingerstrasse bis auf die Küche und ein Wohnzimmer alle Räume. Das Bad und eine Duschkabine wurde von allen geteilt. Ich war mit dem Nachtzug nach Wien gefahren, um nach dem Abschluss der Handelsschule so schnell als möglich von zu Hause wegzukommen und auf eigenen Beinen zu stehen. Ich wollte bei der Zeitung «Der Kurier» in einem Volontariat das Handwerk des Journalisten lernen. Das kam leider nicht zu Stande, aber ich fand rasch eine Stelle beim Österreichischen Verkehrsbüro.

Zum Glück hatte ich die Gitarre mitgenommen. Sie half, das anfänglich ungewohnte Alleinsein auszuhalten. Ich wiederholte oft mein bescheidenes Repertoire, besonders häufig den einfachen Blues in E-Dur, was meiner Gemütslage nicht selten gut entsprach. Dies hörte mein Zimmernachbar Takeo. Eines Abends klopfte er an die Türe und und sprach mit auf die Musik an. Takeo aus Kyoto arbeitete am Institut für Literatur- und Theaterwissenschaften der Universität Wien. Wir kamen wir uns rasch näher, wie dies oft unter Fremden im Ausland geschehen kann. Er erzählte viel von der japanischen Kultur und Lebensweise. Wir verbrachten nun die Freizeit oft gemeinsam, gingen zusammen essen, ins Theater und zu Konzerten. Nie vergesse ich, wie wir uns eines Abends in der menschenleeren Universität endlich getrauten, mit dem Pasternoster-Aufzug entgegen allen Warnungen oben durch zu fahren und das Abenteuer lachend überlebten.

Als Takeo am Ende des Semesters wieder nach Hause fahren musste, mit der Eisenbahn via Sibirien, feierten wir den Abschied gemeinsam mit einem andern Zimmernachbarn. Nach einem feuchtfröhlichen Abend beim Heurigen in Grinzing sassen wir spätabends noch in meinem Zimmer zusammen. In der heissen Sommernacht standen bei den meisten Wohnungen die Fenster zum Hof offen. Dort war dann bald einmal auch Protest zu hören, als wir begleitet mit der Gitarre zu singen begannen. Am andern Morgen lag ein Zettel auf dem Tablett mit dem Frühstück, das uns Frau Kraft jeden Morgen liebevoll zubereitete: Bitte das Zimmer bis morgen um 12 Uhr verlassen!

Weil ich um acht Uhr im Büro am Schalter stehen musste, packte ich sofort meine Sachen und ging zur Arbeit. Mitte Vormittag kam Takeo ins Büro und berichtete strahlend, er hätte für mich bereits ein anderes Zimmer gefunden. In der Mittagspause holten wir mein Gepäck. Frau Kraft stand weinend an der Tür und sagte, ich hätte mich doch nur entschuldigen müssen. Das tat ich auch, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass ich dann hätte bleiben können.

«Gerne dürfen Sie auf meinem Flügel spielen», ermunterte mich die neue Schlummermutter im grossen, hellen Zimmer an der Grinzingerstrasse, als sie meine Gitarre sah. Sie hoffe einfach, dass ich nichts einzuwenden hätte, dass sie gelegentlich am Flügel spiele, wenn ich unterwegs sei. Leider wusste ich das grosszügige Angebot nicht zu nutzen. Dabei wären Klavierstunden – wie die Fahrschule – in Wien sicher einiges günstiger gewesen als in der Schweiz. Ich hatte damals den Kopf anderswo. Offenbar war der Wunsch, einmal Klavier spielen zu können, gerade nicht so dringend.

Die «Hauptstadt der Musik» lernte ich deshalb vor allem als Zuhörer kennen. Der überwältigenden Vielfalt an Angeboten konnte ich nicht widerstehen. Musik begleitet einen in dieser Stadt auf Schritt und Tritt. Nicht nur in Gartenlokalen beim Heurigen, auch in Kaffeehäusern war immer wieder Zigeunerund Schrammelmusik zu hören. Die mit Geige, Gitarre und Handharmonika begleiteten Lieder wie «Weaner Mad’ln», «Wenn ich mit meinem Dackel, von Grinzing heimwärts wackel» oder der unvermeidliche «Dritte Mann» gehörten in dieser Stadt zur Hintergrundmusik, der man kaum entkommen konnte. Aber auch zu anspruchsvolleren Veranstaltungen war der Zugang einfach und günstig. Für nur 20 Schillinge, das war selbst mit meinem bescheidenen Lohn keine grosse Ausgabe, konnte man auf einem Stehplatz im Haus der Musikfreunde berühmte Orchester und grosse Namen erleben. Ebenfalls gab es für die Staatsund die Volksoper stark vergünstigte Angebote, die ich fleissig nutzte.

Auch den ersten zaghaften Schritt in die Welt des Jazz wagte ich in Wien. Nach einem Kinobesuch in der «Urania» an der Donau kam ich am gerade erst eröffneten «Jazzland» vorbei. Ich hörte von draussen die Musik und trat neugierig ein. Die Stimmung im verrauchten Jazzkeller packte mich sofort. Ich besuchte das Lokal mehrmals, kann mich aber beim besten Willen nicht an die Künstler erinnern.

Täglich hörte ich Ö3, den für Beromünster gewohnte Ohren ungewöhnlich attraktiven Sender des österreichischen Rundfunks. Die jeweils nach den 22-UhrNachrichten ausgestrahlte Erkennungsmelodie von «Musik zum Träumen» («Last Date» von Duane Eddy) löst heute noch wohlige Gefühle aus. Wenn «Howdy», wie der Moderator Günther Schifter genannt wurde, seine Schellackplatten präsentierte, war das ein perfekter Ausgangspunkt, um sich mit dem Jazz vertraut zu machen.

Lateinamerikanische Musik gefiel mir damals besonders. Deshalb spitzte ich sofort die Ohren, als die Band an der von der Schweizer Botschaft veranstalteten Bundesfeier auf dem Donauschiff den «One Note Samba» spielte. Der Song erinnerte mich an ein Konzert von Baden Powell im Zürcher Volkshaus, nach dem ich die Gitarre vom Können des Meisters zu sehr beeindruckt mehrere Wochen nicht mehr berührte.

Ich blieb den ganzen Abend in der Nähe der Band stehen. Erst gegen den Schluss der Flussfahrt fasste ich endlich Mut und fragte den Gitarristen nach dem Namen des Songs, der mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Ich musste ihm die Melodie singen, er begann mitzuspielen und sein Kollege stimmte mit ein. Wir setzten uns auf das mittlerweile menschenleere Oberdeck des Donauschiffs und die beiden spielten den «One Note Samba» nur für mich und schärften mir lachend ein, den Song nie wieder zu vergessen. Also sang oder pfiff ich die Melodie nachher fast jeden Tag, wieder und wieder.

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